Mythos Karate

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Mythos Karate oder einfach nur simpler Kampf?

von Christian Laszczyk, 4. Dan

Karate wird in der westlichen Welt gern mystifiziert. Der Grund mag darin liegen, dasses sehr wenig historische schriftliche Aufzeichnungen gibt. Westliche Karateka neigen dazu, etwas Geheimes oder Spirituelles im Karate zu sehen. Aber wir müssen uns vorAugen halten, wofür und warum Karate entstanden ist. Es wurde eindeutig zur Selbstverteidigung geschaffen, um einen unvermeintlichen Kampf einigermaßen unbeschadet zu überstehen. In der Selbstverteidigung gelten auf der ganzen Welt die gleichen Prinzipien. Es gibt keine spezielle „Karate-Selbstverteidigung“, auch wenn viele das zu glauben scheinen.

 

Historisch gesehen wurde das Karatetraining individuell gestaltet. So konnte man dieTechniken auf seinen Körperbau, seine eigenen Fähigkeiten etc. abstimmen. Jede Kata ist eine individuelle Form, d.h. sie ist exakt auf den hin konzipiert, der sie entwickelt hat. Stile wurden geschaffen um Konzepte vorlegen zu können und eine Massentauglichkeit herzustellen. Wer ein solches „Kampf-Konzept“ vorlegen konnte, wurde anerkannt underlangte eine gewisse Berühmtheit. Solche Konzepte sind heute die Grundlagen für individuelle (Karate-)Stile. Stilblindheit führt zum Stillstand. Ab einem gewissen Niveau ist es meiner Meinung nach erforderlich stilübergreifend zu trainieren.

Dies hat natürlich auch für die Kata Gültigkeit. Kata sind Kampfkonzepte und keine Vorführobjekte. Hier schließe ich natürlich die Heian/Pinan u. ä. aus.Mit der Standardisierung der Techniken und der Einführung des Gruppenunterrichtes ging die Individualität, die aus solchen Konzepten hervorging, leider verloren. Wir kopieren und machen nach, was sicherlich in den ersten Jahren des Trainings nichtverwerflich ist. Es wird auf großen Lehrgängen von großen Großmeistern darüber philosophiert wie bei 150 Teilnehmern z. B. die Hüfte einzusetzen ist oder wie bei dieser oder jener Technik die Muskelspannung zu sein hat. Ich schlage ein paar Luftlöcher - trainiert wird ja zumeist ohne Partner - und fahre zufrieden wieder nach Hause. Das ist sicherlich guter Sport aber keine Kampfkunst, geschweige denn Kampf. Wenn es unser Anspruch ist, Kampfkunst zu betreiben, muss ich individuell trainieren, und das geht leider nicht mit 150 Leuten.

Jeder Künstler, Maler, Bildhauer etc., lernt sicherlich ein paar Grundlagen seiner Kunst aber schafft sehr schnell etwas eignes mit einem hohen Widererkennungswert. Der Maler „kämpft“ mit seinem Bild, der Bildhauer mit seiner Statue der Karateka zu 2/3 seiner Übungszeit mit Luft, da wir das „heilige Dreifaltigkeitstraining“, Kihon, Kata und Kumite als das Nonplusultra betrachten und nicht in Frage stellen. Der Wettkämpfer trainiert mit einem Partner, der Boxer hat beim Sparring einen Gegner oder hat den Sandsack als Partner. In keiner anderen asiatischen oder nicht asiatischen Kampfsportart wird so wenig mit Partner agiert wie im Karate. Das Training mit dem Partner ist das Herzstück einer jeden Kampfart. Dies sollte auch im Karate so sein. Zitat aus Vollkontakt Karate (Ashihara) Höller/Maluschka, Meyer & Meyer Verlag: „Kihon ist ein abstraktes Modell von Vorstellungen. Die meisten Stile, die ihre Technikenin die Luft ausführen, haben keinen Bezug zur Realität!“

Im Karate wird sehr viel hinein interpretiert. Ein Künstler der ein Werk schafft macht sich wahrscheinlich wenig Gedanken darüber was sein Werk aussagen könnte, er lässt seiner Kreativität freien Lauf. So genannte Kritiker und Kunstkenner versuchen anschließend das Werk zu interpretieren, zu analysieren und darüber zu philosophieren. Künstler sind in erster Linie Pragmatiker. Karateka würde ein wenig Pragmatismus auch gut zu Gesicht stehen.Im Karate (Selbstverteidigung) besteht die Kunst darin, jedem Kampf aus dem Weg zugehen, aber wenn es zum Kampf kommt, als vermeintlich Schwächerer diesen relativ unbeschadet zu überstehen und schnell zu beenden. Dies hat mehr mit Psychologie als mit Philosophie zu tun. Ich finde es schon bedenklich, wenn auf Selbstverteidigungslehrgängen Techniken zum Einsatz kommen die aus einen weiten oder mittleren Distanz gegen Karate Angriffe (z.B. Oi-zuki) eingesetzt werden. Wer das als Selbstverteidigung verkauft hat von Karate nichts verstanden. Zitat aus Vollkontakt Karate (Ashihara) Höller/Maluschka, Meyer & Meyer Verlag: „Man verbringt eine Menge Zeit damit, Dinge zu trainieren, die in der Selbstverteidigung nicht anwendbar sind und entwickelt falsche Erwartungen über die Wirksamkeit der Techniken!“

Der Trainingsraum, das Dojo, die Halle oder wie auch immer, erfährt eine besondere Verehrung. Warum muss ich mich vor einem Raum, in dem ich kämpfen will verbeugen? Auch wenn dieser Raum schön ausgestattet ist - mit einem Schrein versehen, von dem ein schon längst verstorbener Großmeister oder Stilgründer von einem Foto grüßt, mit japanischen Schriftzeichen versehen ist, die keiner lesen kann –will ich dort nur trainieren und kämpfen, zum Beten gehe ich in die Kirche. Der Trainer oder besser der Sensei betritt den Raum, alle verneigen sich, auch ihmintellektuell überlegene Schüler. Wir sollten aufhören japanischer zu sein als die Japaner. Dies ständige „geosse“ muss man nicht übertreiben. Kein Boxer verneigt sich vor seinem Ring oder Trainer. Es ist doch egal, ob ich Trainer, Sensei, Lehrer etc. oder einfach nur Christian bin, entscheidend ist was hinten rauskommt. Hören wir auf mitdem Personenkult und Machtgehabe. Fairplay und gegenseitige Achtung ja, aber bitteschön weniger pseudo-religiöse Praktiken. Zur Veranschaulichung ein persönliches Gegen-Beispiel: Als Ausgleich zu meinem Karatetraining tanze ich, natürlich mit Partnerin. Ich spreche meinen Tanzlehrer auch nicht mit Meister an, obwohl ich großen Respekt vor seiner Kunst habe. Es liegt mir auch ebenso fern, die Tanzfläche als Ort meiner Tanzübungen zu grüßen. Gesunder Menschenverstand, Respekt und kollegialer Umgang miteinander ist wichtiger als jedes überlagerte Ritual. Sicherlich gehört eine gewisse Etikette zum Karate, aber man muss es nicht übertreiben.

Das Training auf Okinawa oder in Japan strebt fast jeder Karateka einmal im Leben an. Aber warum? In der westlichen Welt gibt es mittlerweile genug hochrangige Großmeister, die vielen asiatischen Großmeistern weit überlegen sind. Ich fahre auch nicht nach England um dort das Fußballspielen zu lernen. Es gibt auch keine Großmeister in Asien, die irgendwelche geheimen Techniken oder Kata beherrschen und von den wir noch etwas lernen könnten, was nur dort und von ihnen zu lernen ist (An Märchen habe ich als kleines Kind geglaubt!). Wer das behauptet, dem unterstelle ich nur kommerzielle Absichten, und wir fallen darauf rein. Auch Asiaten haben Geschäftssinn und wollen Geld verdienen.

Wir maßen uns an Karate als Gesundheitssport zu bezeichnen, aber weltweit hechelnund röcheln unzählige Goju-ryu Karateka bei der Kata Sanchin um die Wette, die Muskeln bis kurz vor einem Krampf gespannt. Dabei ist heute ist doch medizinisch belegt, dass diese Art der Atmung in Kombination mit einer starken isometrischen Muskelspannung nicht gesundheitsförderlich ist. Viele Shotokan-Karateka fegen die Hallen mit unzähligen Kihon Übungen rauf und runter, immer schön tief stehen und die Knie nach außen drücken und das hintere Bein strecken. Hat das etwas mit Gesundheitssport zu tun?

Ich kenne Widereinsteiger, die vor 20 oder 30 Jahren beispielsweise mit dem Grüngurt aufgehört haben zu trainieren. Jetzt möchten sie wieder trainieren. Nur sie werden von den Trainern dort abgeholt wo sie vor Jahren standen. Sie werden eingereiht bei 20 Jährigen und müssen das gleiche tun wie sie es vor 30 Jahren getan haben. Ihnen wird kein oder wenig altersgerechtes Karatetrainingaufgezeigt, dass diese Menschen scheitern ist vorprogrammiert. Wettkampf, Gesundheitssport, und was es im Karate noch so gibt, sind Nebenschauplätze, die man natürlich bedienen muss und kann, nicht mehr und nichtweniger. Karate hat auch nichts mit Zen zu tun. Zen ist eine Lebenseinstellung, deren Weisheitenebenso in der Bibel zu finden sind. Also schon wieder nichts Mystisches, Spirituellesoder Geheimes. Andere japanische Rituale haben für uns schließlich auch keine Bedeutung. Oder wer schlitzt sich zur „Ehrenrettung“ seinen Bauch auf oder schneidet sich aus rituellen Gründen den kleinen Finger ab?

 

Wofür ich plädiere:

  • Hören wir auf das Karate zu mystifizieren• im Karate geht es nicht um geheime Techniken, sondern um Prinzipien für dieSelbstverteidigung
  • zur Umsetzung und Förderung ist individuelles Training erforderlich
  • mehr mit dem Partner trainieren• kein Personenkult oder pseudo-religiöse Rituale
  • pragmatischer Denken!

 

Zitat aus Vollkontakt Karate (Ashihara) Höller/Maluschka, Meyer & Meyer Verlag: „Alles was du tust hat einen Grund. Für alles, was du unterrichtest, musst du eine Begründung haben.“ „Analysiere, experimentiere, kritisiere, ändere, verwerfe, reflektiere, evaluiere, verbessere!“

Der provokante und polemische Ton, den ich hier anschlage, ist mir durchaus bewusst,an der Sache ändert er jedoch nichts.

Die Überspitzung ist nur ein Mittel, meine Kritik am heutigen praktizierten Karate mehr Lautstärke zu verleihen und zum Nachdenken anzuregen.